Gipfelkreuze auf Oberstdorfer Bergen (Teil 2)

von Helmut von Bischoffshausen am 01.06.1988

Am Ende des Oytals erhebt sich über der Käseralpe wie eine gewaltige Felsbarriere der Große Wilde mit mehreren Gipfeln, deren höchster der Nordgipfel ist. Diesen hatte der Oberstdorfer Alois Wechs mit Gefährten dazu ausersehen, im Sommer 1929 mit einem Kreuz geschmückt zu werden (s. „Unser Oberstdorf’, Heft 11, S. 151). Offensichtlich waren die Vorarbeiten schon weit gediehen, als er bei Otto Fischer, damals Wirt des Oytalhauses, vorsprach, um sich Rat zu holen für den Transport und dergleichen. Dabei wird wohl auch zur Sprache gekommen sein, daß die Helfer von Wechs anscheinend allesamt keine Oberstdorfer waren. Und das war wohl zuviel für das lokalpatriotische Herz des Oytalwirts - von nun an lief die Sache in eine andere Richtung.

Fischer verständigte sofort einige Oberstdorfer, von denen er wußte, daß sie gleiches im Sinn hatten. Diese beschleunigten nun ihre Vorarbeiten, und an einem schönen Sommersonntag stiegen Albert Buhl, Albert Hindelang, Alois Schwendinger, Max Jäger, ein Geselle des Wagners Otto Schratt mit Vornamen Alois sowie der Hindelanger Wineberger mit Längs- und Querbalken und allen notwendigen Utensilien über das Wildenfeld bergan. Georg Vogler, der noch die Frühmesse besucht hatte, kam dann, etwas außer Atem, auch noch dazu. Man hatte den Nordgrat als weiteren Anstiegsweg ausgesucht, eine beschwerliche Route, die ihre ganzen Kräfte in Anspruch nahm. Am selben Tag stand das Kreuz auf dem Großen Wilde - ob und wie sich Wechs dazu geäußert hat, ist nicht überliefert.

Im Sommer 1966 besuchten Wiggensbacher Bergsteiger den Nordgipfel. Sie fanden in einer Rinne die vermoderten Überreste des Kreuzes von 1929. Spontan beschlossen sie, ein neues zu errichten. Siegfried Frick aus Haggen übernahm die Aufgabe, Spender zu finden und die Vorarbeiten in die Wege zu leiten. Im Laufe des Sommers 1967 transportierte man Material über den Nordgrat und bereitete das Fundament vor.

Das Holzkreuz, von Herbert Scheibeck gefertigt, wurde durch die Gemswanne hinaufgetragen. Nachdem eine Gipfelbuchkassette und eine Bronzetafel mit der Inschrift:

„Errichtet zu Ehren Gottes

von Bergkameraden

aus Wiggensbach

im Jahre 1967”

angebracht worden war, konnte am 20. August Karl Loemke, Primiziant und ernannter Aushilfspfarrer in Oberreitnau bei Lindau, mit Bergfreunden aus Wiggensbach und Umgebung die Einweihung feiern.

Teil 2 Gipfelkreuz - Heft 13

Auf dem Nordgrat vom
Großen Wilde 1929

Teil 2 Gipfelkreuz - Heft 13

Vorbereitung zum Erinnerungsphoto
auf dem Großen Wilde.

Getrennt durch die Wildenfeldscharte erhebt sich gleich nebenan der Gipfel des Kleinen Wilde, der auch von seiner „leichten” Seite nur mit Kletterei erreicht wird. Sein erstes Kreuz verdankt er einem traurigen Anlaß. Im Frühjahr 1930 stieg ein junger Memminger Bergsteiger allein hinauf zum Gipfel. Vermutlich trat er dann auf eine Wächte, und er stürzte über die Ostwand tödlich ab.

Im August des gleichen Jahres errichteten seine Angehörigen und Memminger Bergkameraden ein kleines, schmiedeeisernes Kreuz, versehen mit einer Inschrifttafel:

„Es zog voll Mut und Jugendkraft
Zu frohem kühnen Wagen
So mancher aus beim Morgenrot
Als es begann zu Tagen.

Und als es wieder zu Tagen begann
Und wieder kehrte der Morgen
Da lag er tot im öden Kar
Befreit von Erdensorgen.

Gewidmet
 unserem lieben Kameraden

Otto Neumerkel Stud.-Ing.
Abgestürzt im Alter von 21 Jahren
am 24. 4. 1930 über die Ostwand”

Etwa 25 Jahre hat es Wind und Wetter standgehalten. Mitte der fünfziger Jahre fand eine Zollstreife in einem Kar unter der Ostwand das Kreuz und die Tafel, die heute an der Grabstätte des Otto Neumerkel in Memmingen angebracht ist.

Teil 2 Gipfelkreuz - Heft 13

Auf dem Kleinen Wilde im Sommer 1930.

Vermutlich einige Jahre später wurde ein Holzkreuz errichtet, mit der Inschrift im Querbalken: „Gott gab uns die Berge.” Eine Gipfelbuchkassette ist angebracht. Die genaue Herkunft konnte trotz intensiver Nachforschung nicht ermittelt werden. Nach der Erinnerung eines Informanten soll es von einer auswärtigen Alpenvereins- Sektion stammen. Offensichtlich wird das Kreuz nicht mehr betreut.

Über dem Hornbachjoch erhebt sich das Südliche Höllhorn, vor allem bekannt bei Kletterern wegen seines herrlichen Südgrates. Das Kreuz, das seit 1. Mai 1946 auf dem Gipfel steht, erinnert an die Bergsteiger, die als Soldaten des 2. Weltkrieges ihre Heimat nicht mehr sehen durften. Fritz Bronner aus Memmingen war der Initiator und die treibende Kraft, ihm zur Seite standen Sepp Roth aus Amendingen, Sigi Weidinger aus Memmingen und der Oberstdorfer Josef „Bi” Wägele.

In jener Zeit, das Kriegsende lag ja erst ein Jahr zurück, war schon die Materialbeschaffung ein großes Problem. Man teilte sich daher diese Aufgabe: Roth besorgte, dank guter Beziehungen, das Eichenholz; Wägele, als gelernter Schreiner, fertigte die Holztafel, auf die dann die beschriftete Metalltafel befestigt werden sollte, sowie das dazugehörige Dächle. Das Kupfer für die Tafel erhielt Bronner im Tausch für einen alten Messing-Wasserhahn. Eine Gravieranstalt stellte die achteckige Tafel her, auf der, eingerahmt von zwei Edelweiß und einem Bergseil mit Pickel, zu lesen war

„Unseren 

von
 1939 - 1945

gefallenen
 Bergkameraden

zum stillen
 Gedächtnis”

Die einzelnen Teile hatte man nun beisammen, aber dann kam, ebenfalls typisch für diese Zeit, das Transportproblem auf die drei wackeren Schwaben zu. Nach einigen Mißgeschicken trieb man einen Holzgas-LKW auf, für die Fahrt ins obere Allgäu, mit einer Fahrgenehmigung bis Immenstadt. Von hier sollte es dann mit der Eisenbahn nach Oberstdorf weitergehen, wo man Wägele treffen wollte.

Nach beschwerlichem Marsch erreichten die vier in später Nacht das Wildenfeldhüttle, wo sie den nächsten Tag erwarteten. Am Morgen marschierten sie dann weiter über das schneebedeckte Hintere Wildenfeld zum Hornbachjoch. Da alle gute Kletterer waren, hatten sie sich vorgenommen, mit sämtlichem Material über den Südgrat zum Gipfel zu steigen. Mit einer Art „Seilbahn” wurde das in die Tat umgesetzt. Am späten Nachmittag stand das Kreuz (ausführlicher Bericht darüber in einem Aufsatz von F. Bronner. In: „Das schöne Allgäu”, Heft 5/82).

Teil 2 Gipfelkreuz - Heft 13

Das Kreuz auf dem Südlichen Höllhorn, wie es einmal war.

Leider sind die Gipfelbuchkassette und die Kupfertafel abhanden gekommen. Nach Auskunft von Bronner soll sich die Tafel noch einige Zeit am Einstieg zum Südgrat befunden haben. Möglicherweise hat sie ein alpiner Souvenirjäger mitgehen lassen.

Getrennt durch eine Scharte steht gleich nebenan das Nördliche Höllhorn, dessen Gipfel man in kurzer Kletterei erreicht. Auch dieser trägt ein eichenholzenes Kreuz, ähnlich dem vorhin beschriebenen. Hier ist die Kupfertafel noch vorhanden mit der getriebenen Inschrift:

„Lobet den Herrn

Ihr Berge

10. Sept. 1950

Richard Bucher - Erwin Hymer

Waldsee/Württ.”

Südlich des Hornbachjochs ragt die Jochspitze empor. Das Holzkreuz - es trägt einen metallenen Strahlenkranz mit den Buchstaben „IHS” und einem kleinen Kreuz sowie eine Gipfelbuchkassette - steht ebenfalls in Beziehung zum letzten Krieg. Der erste Eintrag im Gipfelbuch macht dies deutlich: „Dieses Gipfelkreuz wurde treu einem Gelöbnis errichtet. Es soll jenen leuchten, die aus Krieg und Gefangenschaft nicht mehr in ihre Bergheimat zurückkehren durften. Das Kreuz wurde am 25. August 1962 errichtet. Eingeweiht am 2. September 1962 durch H. H. Kurat Kurt Engelhard (früher Kaplan in Sonthofen). Alljährlich wird am Kreuz eine Gedenkmesse gefeiert.

Die Holzarbeiten stammen von dem Bihlerdorfer Schreiner Hans Roht, die Beschläge fertigte Josef Dietrich, Schlosser aus Sonthofen. Er hat auch das Kreuz gestiftet als Dank für glückliche Heimkehr aus der Kriegsgefangenschaft.

Teil 2 Gipfelkreuz - Heft 13

Auf der Jochspitze im Herbst 1987

Den Abschluß des Oytals im Westen bildet die Höfats mit ihren steilen bis senkrechten Graten und Wänden. Ein um die Jahrhundertwende bekannter Bergsteiger hat diesen Berg einmal so beschrieben: „Die Höfats ist der eleganteste Berg, den ich kenne, aber sie ist eben doch nur ein fader Grasmugel, freilich bester Sorte.” Die Besteigung erforderte in früherer Zeit, mehr noch als heute, Mut und bergsteigerisches Können.

Hermann von Barth, einer der großen alpinistischen Erschließer der Ostalpen, zollt ihr seinen Respekt, als er, obwohl als Alleingänger bekannt, sich bei einer Besteigung im Jahr 1869 einem Oberstdorfer Bergführer anvertraute. Daß hierbei nach seinen Angaben, bis zu 80 Grad steile Gras- und Felsflanken zu Überwinden waren, ist zwar erheblich übertrieben, aber es macht deutlich, wie beeindruckt er von dieser Bergfahrt war. Josef Enzensberger, der die Höfats in der „Zeitschrift des Deutschen und Oesterreichischen Alpenvereins, Jahrgang 1896 - Band XXVII topographisch genau beschrieben hat und über ihre Ersteigungsgeschichte berichtete, merkte an, daß den Allgäuer Bergführern fast ausschließlich nur der normale Weg auf den Westgipfel bekannt sei und führte weiter aus: „Alle außergewöhnlichen Unternehmungen an der Höfats wurden mit zwei glänzenden... Ausnahmen von auswärtigen führerlosen Touristen ausgeführt.” Diese nach seiner Meinung „glänzenden Ausnahmen” waren der Oberstdorfer Thaddäus Blattner und der Hindelanger Leo Dorn, auch bekannt als „Adlerkönig”.

Der Name Blattners begegnet uns wieder in den „Bunten Bildern aus dem oberen Allgäu” von Modlmayr/Irlinger. In Zusammenhang mit der ersten touristischen Biberkopfbesteigung von bayerischem Gebiet aus wird berichtet: „Auf der bayerischen Seite gelang 1857 dem eifrigen Moosforscher Bezirksarzt Dr. August Holler aus Memmingen auf seinen bryologischen Wanderungen der erste Aufstieg, gemeinsam mit dem Jagdgehilfen Thaddäus Blattner, der seine eminente Klettertüchtigkeit durch die Errichtung des ersten Kreuzes auf der so steilen Höfats einige Zeit vorher bewiesen hatte.” Modlmayr bezieht sich dabei auf Angaben Anton Spiehlers.

Einiges spricht dafür, das hier der Westgipfel gemeint ist. Spiehler berichtete nämlich von mehrmaligen Begehungen des Nordgrates zum Westgipfel durch Blattner in den fünfziger Jahren, was ihm dieser in persönlichem Gespräch mitgeteilt habe.

Um das Jahr etwas einzugrenzen, muß man einen Blick auf das sehr bewegte Leben des Thaddäus Blattner (geb. Dez. 1824, gest. 17. 3. 1895 - Eintrag im Oberstdorfer Sterberegister) werfen. Als Quelle dient u. a. die Geschichtensammlung „Bunte Blätter aus dem Allgäuer Volksleben” von Max Förderreuther, Otto Oechelhäuser Verlag, Kempten 1933. Einen Einschnitt in sein junges Leben brachte der 25. Juni 1851, der Johannistag. Beim Jahrmarktstreiben, man hatte dem Bier schon fleißig zugesprochen, begann Blattner mit seinem Freund Wilhelm Tauscher eine Rauferei, bei der er unterlag. Rasend vor Zorn darüber packte Thaddäus einen Sabin und verletzte Tauscher damit tödlich. Der gerechten Strafe entzog er sich durch seine Flucht in die Berge.

Er lebte von dem, was die Natur hergab und was er im Tausch für seine Jagdbeute erhielt. Auf Zureden seiner Freunde und mit der Aussicht auf Anstellung als Jagdgehilfe des Prinzregenten nach Verbüßung seiner Strafe, stellte er sich im Frühjahr 1852. Er wurde verurteilt zur Festungshaft und 1854 auf Ehrenwort - d. h. Bewährung - entlassen. Förderreuther beschreibt Blattner als ruhigen, gutmütigen Menschen. Dazu paßt ein gemeindlicher Bewährungsbericht aber nicht: „... außer einiger Raufhändel und Schwängerung dreier Jungfrauen ist nichts nachteiliges bekannt.” Ein kreuzbraver Stubenhocker war er wohl nicht.

Somit ist anzunehmen, daß auf dem Westgipfel der Höfats zwischen 1854 und 1857 durch Thaddäus Blattner erstmals ein Kreuz errichtet worden ist. In den neunziger Jahren war es allerdings nicht mehr vorhanden. Enzensberger erwähnt in seinem Höfatsbericht nur eine Signalstange auf dem Signalkopf (2.004 m) am Südostgrat zum Ostgipfel. Die gezeichneten Abbildungen zeigen auf den Gipfeln lediglich Steinmänner.

Teil 2 Gipfelkreuz - Heft 13

Thaddäus Blattner
Jagdaufseher in Oberstdorf,
im Jahr 1863

Teil 2 Gipfelkreuz - Heft 13

Auf dem Ostgipfel der Höfats
am 29. Mai 1911

Fast ein halbes Jahrhundert nach dem Westgipfel und zwanzig Jahre nach der „ersten beglaubigten Ersteigung” am 28. Juli 1891 durch Premierleutenant Ludwig Stritzl (Enzensberger: Die Höfats im Algäu) erhielt der Ostgipfel der Höfats sein erstes Kreuz. Nach dem Aufstieg durch die Gufel wurde es von Oberstdorfer Bergführern am 29. Mai 1911 errichtet und ein Gipfelbuch deponiert. Der Sonthofer Fotograf Eugen Heimhuber hat dieses Ereignis in Bildern festgehalten.

Teil 2 Gipfelkreuz - Heft 13

Nach der Kreuzerrichtung Einkehr in Gerstruben, photographiert von Eugen Heimhuber, Sonthofen.

Von links, obere Reihe: Otto Rees (Logelar), Alois Tauscher (Scheaglars Liese), Anton Huber (Boddars Anton, Wirt in Gerstruben), Leo Huber (Lipars Leo), Fritz Dünßer;

mittlere Reihe: Medardus Rohrmoser (Jäger in Gerstruben), Kaspar Rietzler (Roseblühs Kaschpa), Kaspar Schwarz, Xaver Steiger, Leo Köcheler (Stanze Leo), Johann Rietzler II (Roseblühs Johann);

vordere Reihe: Franz Braxmair, Johann Schöll (Klöüsars Johann), Moritz Math (Moritzar), Wendelin Weitenauer (Lüdorfars Wendel), Bernhard Graf (ein Spengler), Johann Rietzler I (Jachemars Hans);

liegend: Donatus Vogler (Donates).

Anmerkung:

Als Vorlage zu dieser Abbildung diente ein Photo (Vergrößerung) aus dem Heimatmuseum Oberstdorf. In der Bildunterschrift ist vermerkt, daß die Aufnahme nach einer Kreuzerrichtung auf dem Höfats- Westgipfel im Juli 1906 gemacht wurde. Diese Angabe kann aber nicht stimmen. Genau die gleichen Namen erscheinen in der ersten Eintragung im Gipfelbuch des Höfats-Ostgipfels - bis auf Medardus Rohrmoser und Anton Huber, die bei der Errichtung nicht dabei waren. Erste Eintragung im Gipfelbuch des Höfats-Ostgipfels am 29. Mai 1911.

Teil 2 Gipfelkreuz - Heft 13

Erste Eintragung im Gipfelbuch des Höfats - Ostgipfels am 29. Mai 1911

Teil 2 Gipfelkreuz - Heft 13

Fortsetzung folgt

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