Der feuervergoldete Turmknopf,
der deutlich die Schußspuren
zeigt, durch die das Regenwasser
in den Turmhelm eindringen konnte.
Buchdruckermeister Karl Hofmann - damals ein 27 Jahre junger Mann - brachte ebenfalls einige Gedanken, geschichtliche Daten und eine kurze Erläuterung der Reparaturarbeiten zu Papier und „verstaute” alles in dünnen Metallröhrchen. Diese schob er durch die Einschußlöcher in den Turmknopf. Allerdings mußte der Knopf dann doch noch geöffnet werden, so daß des Bürgermeisters Schreiben in einer Blechbüchse eingebracht werden konnte.
Oberstdorf und Umgebung
Noch etwas vom Oberstdorfer Kirchturm
Unser Wissen um die Geschichte des Oberstdorfer Kirchturmes ist sehr klein. Im Jahre 991 soll mit dem Turmbau, an dem insbesondere Heiden gearbeitet haben sollen, begonnen worden sein. Die Einweihung der fertiggestellten Kirche erfolgte erst am 24. Juni 1419. Im Jahre 1676 hat bei einem furchtbaren Ungewitter der Blitz so in den Kirchturm geschlagen, daß Knopf und Kreuz herunterstürzten. Erst vom Jahre 1801 wissen wir wieder, daß Zimmermeister Joseph Renn am 11. August Kreuz und Knopf des Turmes abgenommen hat und am 14. August wieder aufstellte. Der Grund dazu ist unbekannt.
In der Aufzeichnung heißt es weiter: „Die Schriften, so im Knopf in einem messingenen Bixlein gefunden, sind wenig und unbedeutend, wenn man ihn wieder herunter tut, findt man mehreres, nämlich vom Franzosenkrieg und Viehkrankheit und andere Feindseligkeiten.” Diese Schriften dürften ein Opfer des Brandes an 1865 geworden sein, wobei vom Turm nur noch die vier ausgebrannten Mauern stehen geblieben sind. Weiteres über den Turm geht aus den unten abgedruckten Akten hervor.
Die jetzige Kugel enthält über die als letzte nach dem Brande ausgeführte größere Arbeit auf der Kirchturmspitze folgende Gravur: „Joh. E. Deiring, Oberreute, Blitzableiter gesetzt am 3. August 1883, geholfen hat auch mein Br. Engel, und Willibald Niederacher. ” Diese Arbeit wurde nicht mit einem Gerüst, sondern mit Hilfe eines drehbaren, im Kirchturm befindlichen Galgens ausgeführt, der durch die oberste Lücke im Turmdach errichtet worden ist.
Gestern wurde mit dem Abdecken des Kirchturmdaches begonnen und dabei festgestellt, daß verschiedene Speichen faul waren. Um den Zustand der Helmsäule untersuchen zu können, mußte der Kupferblechstiefel der Kugel entfernt werden; das Holz dieser Säule war aber noch vollkommen gesund. Bei dieser Gelegenheit wurde eine zerschlagene Flasche mit einer Augsburger Abendzeitung vom September des Jahres 1866 gefunden. Diese Zeitung war jedoch derart verwittert, daß aus ihr nichts entnommen werden konnte. Erst im späteren Verlaufe des Tages kamen im inneren Schaft der Kugel noch die nachstehend veröffentlichten Akten zum Vorschein. Sie werden mit einem neuen Schrieb in der Turmspitze wieder verwahrt.
Die Neubedeckung des bisher mit Schieferplatten bedeckten Kirchturmes mit Kupferblech und dessen Renovierung erforderten, daß der Turm bis zur Kugel eingerüstet wurde. Die Kugel ist nicht geöffnet worden, da in ihr, wie durch zirka 30 Schußlöcher festgestellt wurde, keine Dokumente enthalten waren. Dieses Messingrohr mit Zeitungsausschnitten und Photographien wurde durch ein Schußloch am 11. Oktober 1927 in die Kugel eingesteckt. Die Zeitungsausschnitte sind alle aus dem Jahre 1927 und geben neben anderem Kenntnis von den schwebenden großen Bauprojekten in diesem Jahre. Die Kupferbedachung des Turmes wurde von den Firmen Georg Mayer und Michael Rees in Oberstdorf ausgeführt.
Oberstdorf hat zur Zeit 4200 Einwohner. Als Pfarrer wirkt Isidor Kohl, Bürgermeister ist Magnus Haas, Ortspfleger ist Ludwig Brutscher.
Hoffentlich muß die Generation, die diese Schriften aus der Kuppel nimmt, keine so furchtbare Zeit erleben als wir in den Jahren 1914 - 1918 in dem großen Weltkriege, in welcher Zeit sogar die Kirchenglocken dem Vaterlande zum Umgießen in Kriegsmaterial geopfert werden mußten. Auch in den nachfolgenden Jahren herrschten Not und Elend. Für eine Billion Mark konnte man1923 nur soviel kaufen, als vor dem Kriege um eine Mark. Die einliegenden Geldscheine sind aus dieser Zeit:
Oberstdorf, am 10. Oktober 1927
Karl Hofmann
Buchdruckermeister
Wiederum ein halbes Jahrhundert später hatte der „Zahn der Zeit” an Kirchendach und Turm so genagt, daß eine akute Gefahr für das Gebäude und die Kirchenbesucher bestand. Nachdem Kirche und Turm eingerüstet waren, wurde wieder einmal der Turmknopf geöffnet und - nach Entfernung einer ganzen Spinnwebenwildnis und Zehntausender toter Fliegen - die darin verwahrten Behältnisse entnommen. Das Folgende habe ich kurz notiert.
Im Jahre 1980 mußten dringende Reparaturen am Kirchendach und Turm durchgeführt werden. Durch die Haken der Schneefänger war jahrelang Regenwasser auf die Sparren des Kirchenschiffes gelangt, an diesen entlanggelaufen und hatte an den Knotenpunkten zu schweren Fäulnisschäden geführt. Umfangreiche Sanierungsarbeiten - einschließlich der völligen Neueindeckung des Daches - waren unerläßlich. Das gesamte Kirchenschiff mußte dazu eingerüstet werden.
Der Turm wurde ebenfalls mit einem Stahlrohrgerüst versehen. Das Turmkreuz stak nur noch in der angefaulten Turmspitze und wäre sicher bei einem Sturm in der nächsten Zeit heruntergestürzt. Die vergoldete Kugel wies wieder, wie bereits bei der Reparatur 1927, zahlreiche Einschußlöcher auf. Es waren sicher „erwachsene Lausbuben”, die diese Schäden verursacht hatten.
Durch die Schußlöcher ist Regen- und Schmelzwasser in die Kugel und auch in den hölzernen Turmhelm gelangt, wodurch erhebliche Fäulnisschäden entstanden. So wurde auch am Turm eine völlige Neueindeckung notwendig. Mehrere Meter der Turmspitze mußten abgebrochen und neu erstellt werden.
Lausbuben haben nachts über das Gerüst den Turm bestiegen und an der Südseite vom Zifferblatt den großen Uhrzeiger entwendet. Dabei wurde durch gewaltsames Hantieren die Welle zum Uhrwerk beschädigt.
Bei der Abnahme der vergoldeten Kugel durch Spenglermeister Georg Rees und Ingenieur Sepp Noichl wurden im Innenraum Aufzeichnungen gefunden.
1. In einer Blechbüchse:
1. Ein Brief des Pfarrers Köberle aus dem Jahre 1866.
2. Ein Schreiben des Kaufmanns Josef Anton Vogler aus dem Jahre 1877.
3. Ein Schreiben des Kaufmanns Ludwig Gschwender aus dem Jahre 1877.
2. In einer weiteren Blechbüchse:
1. Ein Schreiben der Gemeindeverwaltung Oberstdorf aus dem Jahre 1927.
2. Geldscheine aus der Inflationszeit 1922/23.
3. Eine Ausgabe des »Gemeinde- und Fremdenblattes« aus dem Jahre 1927 mit Berichten über die Renovierung des Turmes.
4. Fünf Fotos vom Gerüst des Turmes aus in alle Richtungen, (1927, Karl Hofmann).
Ein Foto, das den eingerüsteten Turm zeigt (1927).
3. Zwei Metallröhrchen von ca. 5 mm Durchmesser; diese enthielten:
1. Ein Schreiben des Buchdruckermeisters Karl Hofmann (1927).
2. Zwei Fotos von der Ablieferung der Kirchenglocken vom 18. Juni 1917 (Foto Karl Hofmann).
3. Zeitungsausschnitte von 1927, die Renovierung des Turmes betreffend.
Bei der Öffnung der Behältnisse am 14. Juli 1980 im Bürgermeisterzimmer waren anwesend:
1. Bürgermeister Eduard Geyer,
2. Bürgermeister Peter Weiß,
Gemeinderat Ingenieur Sepp Noichl, der die Bauleitung bei der Renovierung der Kirche
und des Turmes innehatte,
Pfarrer Karl Rottach,
Ehrenbürger Karl Hofmann (Buchdruckermeister),
Klaus Weddige, Redakteur des Allgäuer Anzeigeblattes,
Adolf Schleich, Kirchenpfleger,
Robert Wohlfahrt, Pfarrmesner,
Eugen Thomma, Museumspfleger.
Der 80jährige Karl Hofmann las die alten Texte vor, unter anderem auch die, die er 1927, also vor 53 Jahren, selbst in der Kugel des Turmes verwahrt hatte.
1927 sollte die Kugel zuerst nicht abgenommen werden, deshalb verstaute Hofmann Verschiedenes in den Metallröhrchen, die er durch die Einschußlöcher in die Kugel schob. Anderntags mußte die Kugel doch abgenommen werden, wodurch dann auch ein größeres Behältnis eingebracht werden konnte.
Nachdem die Originale der früheren Schriften zum Teil in einem schlechten Zustand waren, entschloß man sich, Abschriften zu fertigen und diese in der Kugel zu verwahren. Die Originale wurden im Gemeindearchiv hinterlegt.
Renovierung 1980
Bauleitung und Statik: | Ingenieur Sepp Noichl, Oberstdorf |
Zimmermannsarbeiten: | Ernst Bader, Oberstdorf |
Spenglerarbeiten:
Chor und Sakristei: | Meinhard Kling, Oberstdorf | |
Schiff-Nordseite: | Alfred Steiner, Oberstdorf | |
Schiff-Südseite: | Georg Rees, Oberstdorf | |
Turm: | Georg Rees, Oberstdorf |
Gerüstbau Schiff und Turm: | Fa. Söll, Augsburg (Stahlrohrgerüst) |
Schlosserarbeiten: | Josef Göttle, Oberstdorf |
Kugel repariert und neu vergoldet: | Fa. Dochtermann, Augsburg |
Elektroplanung: | Ingenieur Max Jobst, Oberstdorf |
Holz-Sanierungs- und Isolierarbeiten im Dachboden des Schiffes: | Fa. Eichleitner, Augsburg |
Sandstrahlarbeiten: (Wandflächen säubern) | Fa. Oberland, Klosterlechfeld |
Malerarbeiten: | Martin Neuhofer, Immenstadt i. Allgäu |
Maurerarbeiten: | Fa. Ferdinand Brutscher, Oberstdorf |
Oberstdorf, 22. Aug. 1980
(Eugen Thomma)
Nach den umfangreichen Reparaturarbeiten strahlte Oberstdorfs Pfarrkirche wieder in neuem Glanz. Alle Schriftstücke und zusätzlich je ein Schreiben von Pfarrer Karl Rottach und 1. Bürgermeister Eduard Geyer fanden Aufnahme im Turmknopf. Nach den bisherigen Erfahrungen müßte - wenn nicht außergewöhnliche Umstände eine Abweichung von der Regel fordern - etwa im Jahre 2030 die nächste Öffnung des Turmknopfes erfolgen. Wir können nur hoffen und wünschen, daß jene, die dann die Schriftstücke entnehmen, in einem friedlichen Oberstdorf und einer heilen Umwelt leben.