Carl Zuckmayer mit seinen Eltern, den "Däxen", in Oberstdorf, November 1946
...zwei Jüdinnen und ein Bürgermeister in Oberstdorf während des Dritten Reiches
Die Zuckmayers
Für die Eltern Zuckmayer war - wie für alle Oberstdorfer - der Krieg schon am 1. Mai zu Ende gewesen, als die französichen Panzer durch den kampflos übergebenen Ort gerollt waren. Was für die meisten Familien jedoch weiter anhielt, war die Sorge um Söhne und Töchter, die noch nicht heimgekehrt waren. Auch die Versorgung mit Lebensmitteln war ein großes Problem, denn der Ort war zum Bersten voll mit Verwundeten, Ausgebombten und Vertriebenen. Man hungerte nicht so sehr wie in den Großstädten, aber alt und jung litten schwer unter Entbehrungen. Amalie Zuckmayer war zu diesem Zeitpunkt fast 76 Jahre alt, ihr Mann Carl, fast 81.
Der erste, teilweise unlesbare Brief Amalie Zuckmayers an ihren Sohn Carl soll hier ohne Kürzungen wiedergegeben werden, da er sicher typisch ist für die Erfahrungen vieler in der „Stunde Null” in Oberstdorf.
Oberstdorf 22. 7. 45
Lieber, liebster Carl, mein gutes Mohrchen
Zuerst: Sei allerinnigst umarmt zum Anfang meines Schreibens, dem ersten - außer den R. Kreuznachrichten seit wohl fast 4 Jahren. Hoffentlich seid Ihr alle 4 gesund & wohlauf in jeder Beziehung. Zuletzt hatten wir Deine Grüße vom 26. 8. 44 & durch Aeschli kurz nach Weihnachten gute Nachricht. Seit Anfang sind wir ohne jede Postverbindung, so kann auch Aeschli von Dir & Ded nichts schreiben.
Ebensowenig wißen wir irgend etwas von all unseren Freunden & der Familie. Aber - der Krieg ist vorüber - Hitler & sind nicht mehr & von mir ist ein schwerer Druck gewichen. Auch von Euch & Ded. Wir hatten bei Kriegsende im Mai geglaubt Du & Ded oder Ihr Alle könntet bald zu uns kommen. Dann erst begriffen wir die Schwierigkeiten. Aber wir hoffen daß es Dir doch bald gelingen wird, oder gar Euch zu den greisen Däxen und den lieben guten Noacks zu kommen. Eva & Moritz haben Dir schon Näheres geschrieben von uns & dem guten & friedlichen Oberstdorf, wo wir seit September 1942 keine Schrecken mehr erlebten. Wir sind Beide noch gesund & haben trotz der Ernährungslage, die Dir, lieber, lieber Carl gewiß bekannt ist, noch zum schön durchgehalten.
Eure Anna hatte bis Januar 45 treu & „erfolgreich" für uns gesorgt, seitdem kommt keine Post mehr an. Und nun, ... damit wir Däxe nicht allzu dürr & „klapprig" werden. Geld haben wir genügend ... Wenn Du, liebster Carl - Mohr, noch nicht bald kommen kannst... Lebensmittelpakete, wenn es möglich ist, unendlich dankbar.
Nach Caffee, Thee zur Stärkung vielleicht etwas Chokolade sehnt man sich sehr - überhaupt allem Eßbaren. Aber - gesorgt ist auch ... hier, daß man durchkommt, gerade jetzt auch mit Brot.
Viele warten mit uns auf Dich jetzt. ...
Möge es bald ein Wiedersehen geben & - Alles ...
Weißt Du was von Ded? Wie es ihm wohl geht? ...
Fid, unser geliebter Alter ist noch rüstig für sein Alter, aber sieht nur noch ganz wenig.
So lebe wohl, Du, unser Jobs & die geliebten Kinder.
Wir umarmen Beide Euch alle, herzlichst und sehnsüchtigst als Eure alten, fernen Däxe
Amalie Zuckmayer muß eine ungewöhnliche Frau gewesen sein, mit der Gabe, im Leben vor allem immer das Positive zu sehen. So gibt es in den Briefen von 1945/46 nur wenige Hinweise auf die Angst und das Leid, das sie und ihre Familie und Freunde seit 1933 durchlitten hatten.
Ja, Suhrkamps haben schwer gelitten und Evchen Schweres durchgemacht. Aber so tapfer und großartig Alles überwunden. Welche Angst hatten wir um sie, Fid ganz besonders. (13.12.45)
...Ernst Wolff, leider wird er mit dem Tod seiner Eltern rechnen müssen. All unsere Nachforschungen hier sind vergebens. (25.12. 45)
Ja, wir haben doch persönlich viel Glück kennengelernt - Carlo!! & andere. Natürlich auch einige Böse...
Bin ja „Rassisch Verfolgte"! Eva ... war ja auch im KZ. Ich hätte das nicht überlebt! (15.5.46)
Vor allem aber spricht aus den Briefen, die Amalie Zuckmayer während der nächsten eineinhalb Jahre aus der »Villa Heimat« bzw. dem Stillachhaus an ihren Sohn und ihre Schwiegertochter schreibt, Güte, Wärme und Dankbarkeit:_
Wir dankten den getreuen Vizekindern gern und von Herzen, daß wir durch sie in das wunderschöne, gesunde und friedliche Oberstdorf kamen und keine Kriegsschrecken in dem jetzt zu 90 % zerstörten Mainz mitmachen mußten. (12. 9. 45)
Außer den guten & hilfreichen Noacks haben wir noch einige uns liebe Freunde hier. (30.11.45)
...hat uns oft mit einer Gabe Thee, die er entbehren konnte, geholfen. Überhaupt ist das Erleben von Treue & guten Freunden für uns ein ganz großer Gewinn in diesen bösen Jahren. So kam heute von Deinem einstigen Kindermädchen aus Rüßelsheim ein mit aller Liebe gepacktes Weihnachtspäckchen mit sich sicher abgesparten guten Dingen. Obenauf ein von Jemand, wohl nach ihrer Angabe gemaltes Bildchen, ein Kind, wie Du es bei ihrer Betreuung warst, das 3 Katzen in den Armen hält und sie schreibt: mein Mohrchen. (13. 12. 45)
Wir waren von 1/2 9 - 1/2 11 abends gemütlich zusammen & heute Nachmittag soll das fortgesetzt werden bei Noacks zum Caffee. Die Großmutter hat mir ein herrliches, warmes Bettjäckchen gestrickt, aus alter, weicher Wolle. Also, so werden wir verwöhnt. (25.12. 45)
Nun haben wir heute zur Post aus R & Rosenheim zum I. Mal auch ein wundervolles Paket bekommen, das in Woodstock durch Dich abgeschickt wurde, so viel ich lesen konnte an Peter Olden? O was Herrlichkeiten! Wir sind ganz entzückt & können unseren Reichtum nicht faßen. Die schönen Teepäckchen, der Chocolade. Caffeell! Fett!!!!! Eine Cigarre aus dem ersten Päckchen hat dem Fid schon sehr gut geschmeckt. Wir danken innigst & werden uns ganz fest dran machen. Mit Vorsicht, man ist ja von solchen Dingen so entwöhnt. (31.12. 45)
Welche Freude hast Du uns & unseren „No-äxen" bereitet mit Deinem großen, lieben & so anschaulichen Brief vom 20. 12. Es war der erste Brief, den wir seit 1941 von Dir erhalten haben, somit war gar nichts wiederholt. Alles neu. Aber, Alles ganz alt: Deine Liebe, Deine Treue & - Dein Humor. Unser Jobs, so wie wir ihn kennen & so herzlich & sehnsüchtig lieben sprach zu uns. Renate, die ... Noacks Tochter, eine sehr liebevolle Vizeenkelin, brachte uns den Brief & das reiche Cigarillokästchen mit dem lieben Jobskärtchen & ließ es sich nicht nehmen, uns den Brief gleich vorzulesen. Und nun habe ich ihn schon 2. Mal dem alten Fid vorgelesen & ebenso oft nochmals allein & freue mich immer und immer mehr mit den guten ... danken wir dir, liebster Jobs & Fid dankt besonders für die köstlichen Cigarillo. Er hat schon 3 mit besonderer Andacht geraucht, old poor Fid. „Poor" ist er, da er ja so gut wie nichts mehr sieht. (19.1.46)
Es ist allerdings sehr schön hier & für heutige Verhältnisse auch gut in der Ernährung. Ich habe allerdings auch noch die Zulage der „Rassisch-Verfolgten" glücklicherweise dabei. So habe ich schon ein gutes Pfund zugenommen. Bis Ende Juni läuft auch noch eine von der gütigen amerikanischen Militärregierung befürwortete Kranken & Alterszulage. Ohne diese wären wir bei Verlust Eurer guten und lieben Pakete in der Villa Heimat nicht durchgekommen. Die „Heimat" ist immer noch eine der besten Pensionen hier, aber das will eben nicht viel heißen. Sie hat aber eine für uns sehr wertvolle Führung in der Besitzerin, die in der Nazizeit für mich die Beste hier war. Wir haben eine vorzügliche Ärztin & ich kann es ja heute sagen, daß sie mich im Januar „durchgebracht" hat, da ich eine ... artige Darmgeschichte hatte. Eva hatte ja so viel Pakete & gab Reis, Cacao & - Thee & Nescaffee. Der ist meine Rettung, auch hier oben.
Ich war gerade bei unserem lieben Arzt zur Untersuchung & er ist mit meinem „Aufbau" für meine bald 77 Jahre sehr zufrieden. ...Wir haben doch persönlich viel Glück kennengelernt.
Ich liege auf dem Liegestuhl & der gute, liebevolle Arzt hat uns eben vorgelesen & er ist sehr zufrieden mit uns old people & besonders mit meinem Erfolg. Dem Fid geht es ja gut, dem armen Nichtsehenden. Aber er hat einen Riesenappetit ächt Zuckmayer & ist auch hier nie satt. Qualität ist hier prima & das erholte mich auch. Mehr als sie haben kann Niemand geben. Aber ich habe ja Zulage noch & teile sie natürlich mit Fid. Bin ja „Rassisch Verfolgte"! Habt ihr ein Mal dem Herrn Kapsreiter gedankt, der so gut zu uns war & grüßt ihn, bitte. (14. 5. 46)
Ich habe Fids Pflege & die Angst & Sorge um ihn dank Stillachhaus gut überstanden. Wir haben eine Prachtärztin, die Euch auch persönlich lieb sein wird. Sie war ganz verzweifelt in dem Gedanken, daß nun kurz vor der ersehnten Wiederkehr einer der Däxe „absegeln" soll, wie man in Mainz sagt.
Gut, daß wie schon so lange hier sind & manche gute Freunde haben & ich selbst einkaufe. Nun Eure Sendungen erhalten, herrlich, meine Geburtstagssüßigkeiten erfreuten mich auch heute noch. (19. 7.46)
Das Hauptthema aller Briefe, die Amalie Zuckmayer nach Vermont schrieb, war aber die fast unerträgliche Sehnsucht des alten Paares nach einem Wiedersehen mit den Söhnen und deren Familien.
Als am 7. Mai die Panzerwagen der Besatzung einfuhren, glaubten wir sicher, daß wir Dich bald Wiedersehen könnten, daß sicher bald Briefe oder gar ein Paket kommen dürfte. Inzwischen sind uns alle Unmöglichkeiten klar geworden. Wir müssen weiter hoffen und ... gesund zu bleiben um dieses Wiedersehen zu erleben. (12. 9.45)
Es ist eine schwere Geduldsprobe, seitdem der Krieg beendet ist noch schwerer als vorher.
Ende November 1945 kam in Oberstdorf endlich der erste Brief aus Vermont an. Dabei ging es zunächst um Logistisches: wieviele Briefe über welche Kanäle verschickt wurden, welche Briefe in den USA angekommen waren, wieviele Pakete abgeschickt wurden.
Gefolgt von der Hoffnung ... wenn wir nur wenigstens einmal hoeren, dass endlich eine Nachricht von uns an Euch gekommen und damit die so lang unterbrochene Verbindung wieder aufgenommen ist.
War es schon unmöglich, einen regelmäßigen Briefkontakt zwischen Vermont und Oberstdorf aufzubauen, so war an persönliche Besuche, also an Wiedersehen, kurzfristig nicht zu denken. Doch eine Hoffnung gab es: Ich habe ja eine leise, ganz leise Hoffnung, innerhalb einiger Monate, in einer Art von „offiziellem Auftrag" zu einer „Studienreise", die sich besonders mit Theaterverhaeltnissen befassen wuerde, hinueber zu kommen und Euch endlich Wiedersehen zu koennen, aber es ist noch sehr ungewiss und es dauert alles unendlich lang.
Der Brief bringt auch Nachrichten über Carls Bruder Eduard, den Musikwissenschaftler, in der Türkei:
Ded ist mit Gi und Michi seit August 44 interniert, das heisst sie sind an sich frei, muessen aber mit anderen ehemaligen Deutschen in einem Dorf leben, in dem sie von der Regierung versorgt werden, und duerfen keinen Beruf ausueben und das Dorf nicht verlassen. Bis jetzt hat sich das trotz Kriegsende nicht geaendert. Es geht ihnen soweit gut, sie haben koerperlich und gesundheitlich nicht zu leiden und sind offenbar ganz gut verpflegt, nur ist die Unmoeglichkeit einer Berufsausuebung natuerlich sehr schlimm. Ich steh dauernd mit Hindemith in Verbindung und wir planen alles Moegliche - bis jetzt ohne direkten Erfolg - aber sicher werden wir die erste Moeglichkeit ergreifen um ihn herauszubekommen. ... Er hat auch an die Regierung der Tuerkei gekabelt - jedoch keine Antwort bekommen. Trotzdem nehmen wir an, dass die Lage sich bald klaeren und bessern wird. Vielleicht kann Ded Euch rascher Wiedersehen als wir. Aber wir hoffen auch auf 1946: Bleibt uns nur gesund, ihr Daechse.
Zuckmayer berichtete seinen Eltern nicht nur über seine Frau und Töchter, sowie die engsten Freunde, sondern auch über seine eigene Entwicklung vom Farmer zurück zum Schriftsteller:
Einen Teil unserer Farmtiere haben wir fuer den Winter bei einem Nachbarn untergebracht. Ich verkaufe vor Weihnachten noch etwa 15 Gaense. ... Das war waehrend der letzten Jahre eine unserer hauptsaechlichen Beschaeftigungen.l Aber jetzt schreibe ich wieder taeglich wie einst in Henndorf, nur, wie ich glaube, - besser. (6.11.45)
Ja, nach einigen Jahren des Schweigens, das mir der Krieg, das furchtbare Geschehen in der Heimat und die Umwurzelung in einen neuen Boden auferlegt hatten, - ich habe sie Gottseidank mit meiner Familie so gesund und gut ueberstanden, wie es nur moeglich war, naemlich dauernd auf dem Land, als Farmer mit sehr harter Arbeit und viel ungewohnten Erfahrungen, - nach diesen Jahren des langsamen Heimischwerdens hier, habe ich mit ganzem Einsatz meine schriftstellerische Arbeit wieder aufgenommen. Morgen fahre ich nach New York und wir leben derzeit in einem Zustand gespannter und hoffnungsvoller Aufregung - weil einer der besten und bedeutendsten Theaterleiter von New York mein neues Stueck herausbringen will. (20. 11.45)
Aber natürlich bleibt das wichtigste Thema zwischen dem Sohn und seinen Eltern - das Wiedersehen:
Aber natürlich bleibt das wichtigste Thema zwischen dem Sohn und seinen Eltern - das Wiedersehen:
Wenn ihr uns nur über die naechsten Wochen und Monate gesund bleibt! Privatreisen sind vorlaeufig noch unmoeglich. Alle Transportmittel werden fuer Wichtigeres gebraucht, und man weiss nicht, wann sich das aendern wird...Ich stehe derzeit in Unterhandlungen mit gewissen Behoerden in Washington, denen ich mich fuer eine offizielle Mission nach den besetzten Laendern zur Verfuegung gestellt habe, und es besteht eine leise Moeglichkeit, dass ich in einigen Monaten hinueber geschickt werde. (20.11.45)
Den Eltern bleibt nichts anderes zu tun als zu warten und zu schreiben, obwohl die Postverbindungen weiterhin so unzuverlässig sind, daß jeder Brief mit dem Aufzählen der bisher geschriebenen und empfangenen Schreiben beginnt.
Den Winter über schreibt Mutter Amalie mehrere Briefe in die USA.
Vor Allem jedoch bringt uns Dein lieber Brief doch eine Hoffnung, daß Du in absehbarer Zeit, Du oder besser noch Ihr uns besuchen kommt. Es wäre natürlich je rascher je richtiger, denn wir sind old people, very old. Und wenn wir auch Beide, besonders ich seit Deinem I. Brief wieder wohler & kräftiger sind & für unser Alter wirklich noch gesund, so hat man doch bei Fid bei jeder Erkältung, zu der er sehr neigt trotz allem Behütetsein, immer Angst und Sorge. Wir haben so lange gut durchgehalten & möchten nun doch als Däxenpaar Euch & Ded empfangen. Also geb's Gott.
Sylvester 1945
Nun geht das Schicksalsjahr, das uns den Frieden endlich brachte zu Ende! Seit 1936 waren wir nie mehr an diesem Abend mit Euch und Ded zusammen. Silvester 1926 in Henndorf. Da tanzte Fid noch mit der Ederin...Heute sehnt er sich wie jeden Abend vor Allem nach Ruhe und seinem Gottlob stets guten Schlaf & und wir bleiben in unserem... Zimmer & trinken ein Gläschen Rotwein, durch Moritz beschafft - sprechen von Wiedersehen, Wiedersehen, Wiedersehen.
19. 1. 1946
Wir haben auch im Sommer oft Luftschlösser gebaut, sogar manchmal so kühn, daß wir uns in USA sahen.
Ja, der Sommer war eine große & schwere Enttäuschung. Wir waren ja so „verrückt" und erwarteten Euch und Ded ganz rasch. Aber das klärte sich bald auf & dann kam die Postnot. Diese Zeit war unsere härteste im Krieg, noch härter als die Zeit nach dem Verlust des Heims, da uns die Sehnsucht verzehren wollte. Nun sind wir vernünftig & für die leibliche Hilfe sorgt Evchen.
Ein Brief aus New York vom 26. August 1946 bringt endlich Nachricht von konkreten Fortschritten. Erstens wird der Luftpostverkehr zwischen den USA und Deutschland auch für den Zivilverkehr eröffnet, was endlich einen geregelten Briefverkehr ermöglicht und zweitens berichtet Carl seinen Eltern:
...bin ich jetzt schon „fest im Dienst", seit dem 15. August bin ich hier in New York im War Department beschaeftigt, und es steht jetzt endgueltig fest, dass ich bis Ende September oder spaetestens Anfang Oktober hinueber komme, und zwar das erste Mal auf drei Monate... Ich habe mich zu einem sehr schweren, aber hoechst interessanten Dienst verpflichtet und alles andere aufgegeben, fuer laengere Zeit, um hinueber kommen zu koennen... Ich bin jetzt in einer besonderen Abteilung des War Department, die sich speziell mit dem Wiederaufbau des kulturellen und geistigen Lebens in Deutschland befasst... sehr bald nach Muenchen kommen, wo ich auch der Filme wegen viel zu tun habe, und von dort natuerlich einen laengeren Urlaub nach Oberstdorf nehmen.
Das nächste Kapitel im „Wiedersehenskrimi” schreibt Eva Noack-Mosse an Alice Herdan-Zuckmayer, den Jobs, am 25.11.1946:
Ja, nun ist das Carlchen in Berlin und Du wirst wissen, dass er schon mit den Däxen telefoniert hat. Alle waren so gerührt und bewegt, dass es über Namensausrufe nicht hinauskam. Und dann wurde der Fid an den Apparat gerufen. Und in seiner Blindheit schlug er die Gabel vom Telefon nieder und es kam keine richtige Verbindung mehr zustande. Und dann hustete er unentwegt vor Aufregung in den Apparat. Und abends las Carlchen im Berliner Rundfunk; und er kam nicht mehr dazu, es zu sagen. Aber so etwas muss so sein. Zur Feier von Carlchens Ankunft in Berlin tranken wir bei den Däxen am Sonntag nachmittag Kaffee - das war vor acht Tagen. Ich hatte meinen ersten und wohl einzigen Apfelkuchen in diesem Jahre gebacken. ...
Ich bin etwas bange, denn der Fid ist alt geworden, und zwar besonders in den letzten 1 1/2 Jahren, da er sich zu sehr vor Warten aufgezehrt hat. Aber Zuck wird sich ja in Gedanken vorstellen können, wie es ist, einen so alten Vater zu haben. Aber seitdem er nun wirklich weiss, dass er kommt, ist er erstaunlich gut beinander und brennt aufs Carlchen und ist lebendig und gut zusammen.
Es muss wenige Tage später gewesen sein, als das folgende Foto aufgenommen wurde, denn Carl Zuckmayer schrieb selbst auf die Rückseite:
Erstes Wiedersehen mit den Eltern, Oberstdorf, November 1946 (Die Jahreszahl ist zweimal unterstrichen.)
Im folgenden Jahr konnte auch Alice Herdan-Zuckmayer endlich nach Deutschland reisen und ihre Schwiegeltern Wiedersehen.
Carl Zuckmayer sen. starb wenige Wochen nach der Aufnahme dieses Fotos, am 12. Dezember 1947, und hat auf dem Oberstdorfer Friedhof seine letzte Ruhe gefunden. Seine Frau blieb nach dem Tod ihres Mannes in dem Ort, der für sie von der Zuflucht zur zweiten Heimat geworden war. Die letzten Jahre ihres Lebens verbrachte sie als Dauergast im Stillachhaus. Sie starb im August 1954 im Alter von 85 Jahren.
Als wir sie zu Grabe trugen, um sie an der Seite ihres Mannes zu betten, ging Gertrud von le Fort, die größte Dichterin der Transzendenz in unserer Zeit, an meiner Seite. Das Grab war; obwohl der Herbst schon vor der Türe stand, von hellen„ leuchtenden Blumen bedeckt. Wie das Grab eines jungen Mädchens.
Danksagung
Mein herzlicher Dank gilt Frau Winnetou Guttenbrunner für die Genehmigung, aus den privaten Briefen ihrer Eltern und Großeltern zu zitieren, sowie Herrn Dr. Günther Nickel, dem Nachlaß Verwalter von Carl Zuckmayer, für zahllose wertvolle Hinweise und Hilfestellungen.
Außerdem bedanke ich mich bei Frau Hildegard Diecke vom Deutschen Literaturarchiv, Marbach, und Herrn Howard Falksohn von der Wiener Library, London, für ihre Unterstützung.
In Oberstdorf danke ich besonders meiner Familie und Herrn Eugen Thomma für ihre kontinuierliche Unterstützung.