V. DER TEUFEL VERSUCHT OBERSTDORFER
Gerade in den letzten Jahren hat die Faszination des Bösen in unserer westlichen Gesellschaft wieder stark zugenommen. Diesen Trend beweist eine große Anzahl okkulter Filme, wie „Rosmary’s Baby” von Roman Polanski oder das Auftreten satanischer Sekten, wie die des Mörders von Sharon Tate, Charles Manson, und auch die Renaissance des Exorzismus in stark konservativen Kreisen der katholischen Kirche.
Ihre Anhänger fahren in Bussen regelmäßig nach Norditalien, um dort Teufelsaustreibungen beizuwohnen. Dahingestellt sei, ob die Ursache darin liegt, daß noch nie so viele Menschen von perversen Führern wie Hitler, Stalin oder Mao Tse-tung umgebracht wurden wie im zwanzigsten Jahrhundert. Oder gibt es gar eine Verbindung mit den neuesten technischen Entwicklungen, wie der Atombombe und der Genmanipulation, und mit den biologischen und chemischen Waffentechniken? Dabei ist uns jedoch ein festumrissenes „Teufelsbild”, wie unsere Vorfahren es hatten, abhanden gekommen.
Natürlich stellt sich nun die Frage, wie und woher der Teufel in unsere Welt gelangte. Ich möchte hier das Phänomen auf eine nichtreligöse, rationale und sehr vereinfachte Weise betrachten. Unsere Ahnen der Vorzeit empfanden die Natur und auch die Geschichte als feindselig und bedrohlich. Naturkatastrophen einerseits und Gewalttätigkeiten von Feinden andererseits konnten zum damaligen Zeitpunkt nicht rational, mittels des Verstandes, erklärt werden, nein, sie wurden auf ein mythisches Bild projiziert, welches das Böse im menschlichen Dasein erschaffen hat.
„Anstatt die natürlichen Wechselfälle des Lebens zu akzeptieren, wo Augenblicke der Fülle abgelöst werden von Zeiten der Krise, hat sich der Mensch angesichts des unausweichlichen Todes und Leides auf die quälende Ursache des Bösen eingelassen. Die archaischen Kulturen schufen damit die Grundlage für ein Teufelsbild, das die Auseinandersetzung mit dem rationalen Bösen, das ja faktisch existiert, über Jahrtausende verhinderte. Dabei entstanden in den jeweiligen Kulturen und Kulturstufen verschiedene, sich oft widersprechende Bilder des Teufels.
Wie ich in den vorhergehenden Artikeln schon ausgeführt habe, setzen sich viele unserer überlieferten Sagen mit dem Bösen im Menschen auseinander: Hexen lassen Tiere erkranken, und Hirten quälen das ihnen anvertraute Vieh. Deshalb ist es verständlich, daß sich wiederum eine ganze Reihe unserer Sagen mit dem Bösesten aller Bösen, dem Teufel selbst, beschäftigt. Da sich dabei „christliches Gedankengut verschiedener zeitlicher Schichten, aber auch Vorchristliches und Entchristlichtes . . . fast unentwirrbar vereint” ’, kann ich nur auf einen Teil dieser Aspekte eingehen. Daneben will ich versuchen aufzuzeigen, wie, wann und warum der Teufel in unseren Sagen Eingang gefunden hat.
Beginnen wir mit den Sagen, in denen der Teufel die Hauptrolle spielt. Da der Teufel von seiner Natur her der Gegenspieler Gottes ist, hat er nach der Christianisierung oft die Rolle der vorchristlichen Götter übernommen. Im folgenden Beispiel sind das die verschiedenen Erdgottheiten der griechischen und römischen Antike. Besonders der Gott Pan, der ursprünglich der unbegrenzten Freiheit eines gesetzlosen Lebens der Hirtengesellschaft entsprang, lieferte ein Grundmuster, das im christlichen Teufel Eingang gefunden hat. Er frönt den obszönen Freuden des Sexuallebens, ein Vorwurf, der später speziell den Hexen der Neuzeit gemacht wurde. Häufig erschien er als Mischgestalt, in der oberen Hälfte unbehaart und in der unteren Hälfte als grobschlächtiger Ziegenbock. Aber lassen wir hier unsere erste Sage zu Wort kommen, die zwar in Burgberg spielt, Reiser jedoch in Oberstdorf erzählt wurde.
Der 13. Rumpelklas
Vor Jahren taten sich einmal eine Anzahl Burgberger Burschen zusammen, vermummten sich und machten nun, wie es damals noch allgemein war, den „Rumpelklas”, indem sie im Dorfe allerlei Lärm und Spektakel machten und so die Kinder schreckten. Es waren ihrer zwölf, und als sie in Burgberg fertig waren, wollten sie noch nach Winkel und Berghofen, bemerkten aber unterwegs, daß es nun ihrer dreizehn seien, und einer flüsterte dem anderen zu, wie das käme, sie wären doch anfänglich nur ihrer zwölf gewesen. Als sie aber zur Ostrachbriicke kamen, sahen sie deutlich, daß der dreizehnte Bockfüße hatte. Darob erschraken sie so sehr, daß sie auseinander sprangen und heimliefen. Vo da ab mochte keiner mehr den Rumpelklas machen, und so ist derselbe nach und nach ganz abgekommen.
Das Motiv des überzähligen Klausen kommt in den verschiedensten Variationen im gesamten Allgäuer und auch Vorarlberger Raum vor. Meist haben sie ein weitaus drastischeres Ende, denn einer der Klausen oder gar alle müssen sterben. Es drängt sich der Verdacht auf, daß diese Sage eher ein Disziplinierungsmittel darstellt, um das ausufernde Brauchtum des Klausentreibens einzudämmen, denn dieses Klausentreiben war seit eh und je ein Dorn im Auge der Obrigkeit. Dies bestätigt auch Gertrud Meier aus Sonthofen: „Von einem älteren Jäger wurde mir gesagt, daß dieser verkleidete Teufel sogar der Gendarm selber gewesen sei, der dem Treiben ein Ende machen wollte” .
Die Androhung des Bösen, als Mittel der Unterdrückung, das wirkte schon seit Menschengedenken, um das einfache Volk in seine Schranken zu weisen. Wird dieses Mittel aber übertrieben, wie zu Zeiten der Inquisition, so kann es dazu führen, daß ökonomisch abgedrängte Gruppen, wie unsere Bauern in der feudalen Gesellschaft, die religiöse Auffassung der Herrschenden ablehnen oder sie sogar auf den Kopf stellen^. Hexenbruderschaften und Teufelsbuhlschaften sind der äußere Ausdruck dieses Prozesses. In ganz vereinfachter Form ist dies auch in unseren Sagen zu finden, in denen sich das einfache Volk gegen diese Angstmacherei zur Wehr setzte: Der Teufel wird vermenschlicht, die Geschichten mit einem Schmunzeln erzählt. Oft ist auch eine Spur Neid auf die Rolle des Teufels erkennbar. Deshalb möchte ich hier dem Volkskundler Richard Beitl widersprechen, der schrieb: „Gewissermaßen als Gegengewicht der höllischen Macht hat der Volkswitz Sagen erfunden . . .”. Es war nicht ein Gegengewicht zur höllischen Macht, sondern eher gegenüber der Unterdrückung und der Androhung eben dieser Macht durch die Herrschenden.
Das Motiv des überzähligen Klausen kommt in den verschiedensten Variationen im gesamten Allgäuer und auch Vorarlberger Raum vor. Meist haben sie ein weitaus drastischeres Ende, denn einer der Klausen oder gar alle müssen sterben. Es drängt sich der Verdacht auf, daß diese Sage eher ein Disziplinierungsmittel darstellt, um das ausufernde Brauchtum des Klausentreibens einzudämmen, denn dieses Klausentreiben war seit eh und je ein Dorn im Auge der Obrigkeit. Dies bestätigt auch Gertrud Meier aus Sonthofen: „Von einem älteren Jäger wurde mir gesagt, daß dieser verkleidete Teufel sogar der Gendarm selber gewesen sei, der dem Treiben ein Ende machen wollte .
Die Androhung des Bösen, als Mittel der Unterdrückung, das wirkte schon seit Menschengedenken, um das einfache Volk in seine Schranken zu weisen. Wird dieses Mittel aber übertrieben, wie zu Zeiten der Inquisition, so kann es dazu führen, daß ökonomisch abgedrängte Gruppen, wie unsere Bauern in der feudalen Gesellschaft, die religiöse Auffassung der Herrschenden ablehnen oder sie sogar auf den Kopf stellen.
Hexenbruderschaften und Teufelsbuhlschaften sind der äußere Ausdruck dieses Prozesses. In ganz vereinfachter Form ist dies auch in unseren Sagen zu finden, in denen sich das einfache Volk gegen diese Angstmacherei zur Wehr setzte: Der Teufel wird vermenschlicht, die Geschichten mit einem Schmunzeln erzählt. Oft ist auch eine Spur Neid auf die Rolle des Teufels erkennbar. Deshalb möchte ich hier dem Volkskundler Richard Beitl widersprechen, der schrieb: „Gewissermaßen als Gegengewicht der höllischen Macht hat der Volkswitz Sagen erfunden . . .”. Es war nicht ein Gegengewicht zur höllischen Macht, sondern eher gegenüber der Unterdrückung und der Androhung eben dieser Macht durch die Herrschenden.
Geißbock gewinnt Pferderennen
Vor langer Zeitwar war einmal in Oberstdorf eine Anzahl Bauern im Wirtshaus beisammen. Sie diskurierten über allerlei, und zuletzt kam die Rede auch auf ihre Rosse. Da wußte denn jeder seines nicht genug zu rühmen und über den Schellenkönig zu loben, so daß sie zuletzt gar übereinkamen, sie wollten ein kleines Wettrennen veranstalten. Dies solle von der Schlechtenbrücke an der Stillach ausgehen und sich bis zum unteren Markt erstrecken, und wer Lust hätte, sollte da mitreiten dürfen.
Am festgesetzten Tag stellte sich eine Menge Teilnehmer mit ihren Rossen ein; nur einer war „leer gekommen ” gebärdete sich aber, als wolle er doch mittun. Als sie nun alle mit ihren Gäulen in Bereitschaft waren und das Rennen jeden Augenblick losgehen sollte, fragten sie den sonderbaren Teilnehmer ohne Roß, was denn mit ihm sei; er müsse sich jetzt doch „namma ” auch um einen Gaul umtun, wenn er mitreiten wolle. „O, das habe gar keine Not” erklärte dieser; er werde, wenn es Zeit sei, gleich einen haben. Wie nun das Rennen anhob, schritt er zu dem nahen Gebüsch am Ufer, zog einen Geißbock hervor; setzte sich darauf und im Nu war er allen weit voraus. Die anderen aber erfaßte Schrecken und Entsetzen, so daß sie das Rennen aufgaben und auseinanderstoben.
Diese Sage erinnert nebenbei, als eine der wenigen Überlieferungen, an die Zeit, als Oberstdorf noch berühmt für seine Pferdezucht war. - Wollen wir uns der nächsten Erzählung zuwenden, in der der Teufel schon mehr in die Rolle des bewunderten Zauberers rückt, die jedoch für uns, im Zeitalter des Flugverkehrs, nichts mehr Teuflisches beinhaltet.
Weihnachtskirschen aus Hinterindien
In der Badwirtschaft zu Tiefenbach saß einmal zu einer Zeit, als noch das alte Haus stand, in der Weihnachtszeit eine Gesellschaft von Tiefenbachern beisammen. Beim Diskutieren kam man auch auf Hexerei und Zauberkünste. Da meinte einer, die Hexenkünstler hätten gewiß schon allerlei zuwege gebracht; aber zum Beispiel, jetzt zur Weihnachtszeit frische Kriesbeer herzuzaubern, das habe halt doch noch keiner vermocht. Nach einer Weile klopfte es von außen ans Fenster, und jemand rief, wenn sie glaubten, dieses Stückle wäre nicht möglich, so wolle er einmal zeigen, was möglich sei und was man könne. In einer Stunde solle ein Teller frischer Kirschen da sein, wenn sie es begehrten.
Die Leute aber glaubten zuerst, es habe vielleicht einer am Fenster gehorcht und machte sich jetzt einen Spaß; deshalb riefen sie lachend hinaus, es sei schon recht, er solle nur recht viel bringen, er könne sie dann teuer „anwerden ”. Sie schenkten dem harmlosen Zwischenfall keine Beachtung und diskutierten und pokulierten fröhlich weiter. Nach einer Stunde aber kam ein fremder Mann bei der Tür herein mit einem gehäuften Teller voll frischer Kirschen, stellte ihn auf den Tisch und forderte die Umsitzenden auf, nur ungeniert zuzugreifen. Er habe sie von weither holen müssen, bis von Hinterindien, denn in Vorderindien habe es keine gegeben. Nun sahen die Leute, daß das alles andere war als ein bloßer Spaß. Keiner sprach mehr ein Wörtlein, bis sich der unheimliche Fremde wieder hohnlächelnd entfernte. Hätten sie nach seinen Füßen geguckt, dann hätten sie Bocksfüße gesehen.
Die schwankhaften Sagen vom geprellten Teufel, den man überlisten kann, wie im Märchen „Der Bauer und der Teufel” von den Gebrüdern Grimm, kommen bei uns nicht vor. Sie sind in fast ganz Deutschland verbreitet und werden oft mit den Sagen von Riesen in Verbindung gebracht, die bei uns im Allgäu jedoch gänzlich verschwunden sind.
Da der Teufel im Grunde seines Wesens der Gegenspieler Gottes ist, befindet er sich stets auf der Suche nach einem sündhaften Menschen, den er für sich gewinnen kann. Was liegt näher, als gerade an die heranzutreten, die sich durch ihr lasterhaftes Leben hervortun:
Der Kühgund Lenz legt Schindriemen aus
Was fällt einem nicht alles ein, wenn der Tag lang und die Arbeit eintönig ist? Man probiert's dann wohl mit einer Gesellschaft, und die zwei Hirten von der Tiefenbacher Alpe versuchten 's mit dem Kühgund Lenz, einem Kollegen, der ab und zu aus seinem Revier zu ihnen einen Abstecher machte und ihnen allerhand ungerades Zeug erzählte. Was aber ein rechter Hirte ist, der hat keine Zeit und keine Gelegenheit, alle Augenblicke solche Abstecher zu machen, denn er ist ja zum Halten da und nicht zum Spazierengehen.
Spazierengehen aber konnte der Lenz nur, weil er „Schindriemen ” zu legen verstand. Er hatte einmal sieben Rindern bei lebendigem Leib die Haut abgezogen, diese in lauter feine Riemen zerschnitten und dann zu einem langen ledernen Seil geknüpft. Wenn er nun, anstatt auf das Vieh aufzupassen, fort wollte, brauchte er nur rings um den für diesen Tag vorgesehenen Weideplatz die Schindriemen auszulegen, und kein Stücklein konnte darüber hinaustreten.
Freilich, es war noch eine Teufelsbeschwörung damit verbunden; von dieser erzählte der Lenz seinen Tiefenbacher Spezis nichts. Als diese nun ihrerseits daran gingen, sich auch solch kommode Schindriemen zu verschaffen, stand plötzlich der Böse leibhaftig vor ihnen und hielt ihnen ein Buch zum Unterschreiben hin. Da wußten sie, was es geschlagen hatte, und hielten mit ihrer gottserbärmlichen Tierquälerei ein; sie legten dem bereits zu Schaden gekommenen Tier linde Kräuter auf und waren froh, daß sie den Teufel nochmals los wurden.
Erinnert uns diese Sage nicht an die „Klausensage” zu Beginn? Diesen moralisierenden Unterton finden wir auch in der Sage
Sündhafte Sennen werden bekehrt
In einer Sennalpe hinter Oberstdorf waren früher einmal Sennen, die ein gar sündhaftes Leben führten und nicht mehr an Gott noch an den Teufel glauben wollten. Wie sie nun wieder einmal beieinander recht über heilige Dinge gespottet und gelästert hatten, konnten sie die Stalltüre nicht mehr aufbringen, daß sie hätten das Vieh einlassen können. Es war, wie wenn alles verhext wäre. Da schaute endlich einer der Sennburschen unten beider Türe hinaus und bemerkte nun voller Schrecken einen draußen stehend, der hatte Geißfüße und hielt die Türe zu. Da wußten sie nun alle, wieviel es schon geschlagen habe und daß es schon an dem sei, und sie besserten ihr Leben und lernten wieder glauben. Sogleich schickten sie einen von ihnen „an’s Land”, daß er Weihbrunnen hole, und an der Türe stellten sie dann ein Weihwasserkrüglein auf.
Es ist sicher kein Zufall, daß es gerade die Hirten und Sennen sind, die hier diszipliniert werden sollen. Sie leben in einem quasi rechtsfreien Raum, weit weg von jeder Obrig- bzw. Geistlichkeit. Die Verbindung zum Hirtengott Pan ist offensichtlich.
Nicht anders steht es mit dem Berufsstand des Jägers und seinem Widersacher, dem Wilderer. Die Jagd macht süchtig, und das nützt natürlich der Teufel für seine Zwecke.
Wie der Teufel sich an den Lutz von Tiefenbach heranmachte
Der Lutz von Tiefenbach war ursprünglich ein guter und gottesfürchtiger Mensch, und daß er auf Abwege geraten ist, daran war nur sein ewiges unüberlegtes Fluchen schuld. Jener Lutz war ein passionierter Wildschütze. Eine Zeitlang hatte er ein so unerhörtes Jagdglück, daß man hätte meinen können, das Wild dränge sich geradezu vor seine Büchse. Zunächst dachte sich der Lutz nichts dabei. Aber dann wurde er doch stutzig. An einem Pfingstmorgen nämlich hatte er eben zwei feiste Böcke in schöner Schußnähe ausgemacht. Noch ehe er die Büchse anlegen und zielen konnte, krachte auch schon der Schuß. Nur ein einziger Knall war es gewesen, aber beide Böcke lagen jeder mit einem sauberen Blattschuß da.
Da wurde es dem Lutz unheimlich. Zwar hatte er beim Jagen immer eine geweihte Hostie bei sich, nicht um den Herrgott zu kränken, sondern eben nur des besseren Jagdglücks wegen. Jetzt aber war ihm nimmer wohl bei der Sache. Er ging wallfahrten und beichten und versprach dem Beichtvater, nie mehr eine Hostie nach der Kommunion aus dem Mund zu nehmen und zum Wildbannen zu benützen. Der Lutz hielt sein Versprechen. Aber der Teufel machte sich auf andere Weise an ihn heran. Wie der Lutz eines Tages ins Revier kommt, sieht er einen kapitalen Bock, der, grad wie hingestellt für ihn, bloß auf den Schuß zu warten schien.
Da merkte der Lutz, daß der Bock sich nicht rühren kann, daß er Blut schwitzt und daß ihm die Augen von Tränen überlaufen. Und, was ist das? Der Bock wird ja von garstigen Pranken festgehalten, von Pranken und Krallen! Von da an ist es mit der Leidenschaft des Lutz endgültig ausgewesen. In seinem ganzen Leben hat er kein Wild mehr geschossen. Im Winter aber, wenn das Wild Not litt, konnte man den Lutz mit riesenhaften Heubinkeln in den Wald stapfen sehen. Er wollte wieder gutmachen, was er der armen Kreatur einst angetan. Deshalb waren unter dem Heu immer viele geweihte Kräuter vom letzten Frauentag gemischt, Kräuter aus der „Zange”, dem Kräuterweihbüschel. Sobald nämlich etwas Geweihtes durch den Leib eines wehrlosen Tieres geht, kann ihm fortan kein höllischer Zwang mehr etwas anhaben.
Daß sich der Teufel der Sage sogar richtiggehend in den Dienst Gottes stellt, um Menschen auf den Pfad der Tugend zurückzuführen, sehen wir am
Wilderer Bäschle
Ein Oberstdorfer Wilderer namens Bäschle wollte vor Zeiten an einem heiligen Tag auf die Jagd. Als er zur Brücke bei der oberen Mühle kam, lief ihm ein fremder, grüner Jäger auf dem Wasserkasten, entgegen. Wie ihn der Bäschle näher anguckt, merkt er, daß der seltsame Jäger Bocksfaße hat. Der Bäschle ist damals auf der Stelle umgekehrt und hat hinfar keinen Glust mehr gehabt, an heiligen Tagen zu jagen.
Taucht hier ein alttestamentarischer Grundgedanke wieder auf, daß Gott selbst den Teufel gewollt und geschaffen hat, um den Menschen auf die Probe zu stellen? Aus dem Judentum stammen natürlich unsere grundlegenden Vorstellungen vom Teufel. Dämonologische Synonyme, die ursprünglich jeweils eigene Gestalten darstellen, werden im Neuen Testament mit dem Teufel gleichgesetzt: Luzifer, Satan, Moloch und die Schlange aus dem Paradies, das sind die hebräischen Vorfahren unseres christlichen Teufels, der jedoch immer Gott untersteht.
In der Apokalypse des Neuen Testamentes werden dann schließlich die Bilder geschaffen, die typisch sind für die Teufelserfahrung des Mittelalters und die in den Werken von Hieronymus Bosch und Goya y Lucien- tes so drastisch dargestellt sind. „Er wurde gestürzt, der große Drache, die alte Schlange, die Teufel oder Satan heißt und die ganze Welt verführt,. . .”. Hier schließt sich der Kreis, und wir sind wieder bei der erzieherischen Komponente des christlichen Teufelsglaubens angekommen, die, wie wir ja schon gehört haben, oft das Gegenteil bewirkt.
Der Gedanke, die teuflische Macht zu benutzen, um im menschlichen Leben voranzukommen, ist ja nicht erst seit Faust bekannt. Ein äußerst wichtiger Berufsstand des Volksglaubens, nämlich der des „Zauberers”, der auch bei uns in einigen Sagen auftaucht, nutzte diesen faustschen Teufelspakt, um Wunderdinge zu vollbringen. Im Gegensatz zu den Hexen, die sich ja auch mit dem Teufel eingelassen haben, besitzen sie einen Namen und werden von der Bevölkerung einerseits gefürchtet, aber auch andererseits bewundert. Im Artikel über die Venedigersagen haben wir schon einen von ihnen kennengelernt, den Trudeser aus dem Birgsautal. Er konnte mit Hilfe eines Zauberbüchleins den Teufel herbeizitieren und ihm Aufgaben stellen.
Der Trudeser findet ein Zauberbüchlein
Eine der vielen Geschichten, die sich die Leute einst von aufgefundenen Zauberbüchern erzählten, hat Reiser von der Ebnat im Birgsautal bei Oberstdorf erfahren. Der alte Trudeser sah einmal im Riedwald auf einem Tannenstock ein altes Büchlein liegen. Der Bauer, neugierig, was das wohl sein könne, begann im Weitergehen darin zu blättern und zu lesen. Aber er verstand von dem, was er da las, kein Wort. Die Sprache war ihm fremd. Wie nun der Trudeser buchstabierend weitergeht, merkt er mit einem Mal, daß sich die Tannenwipfel neigen und daß die Bäume ächzen und rauschen wie im ärgsten Sturm, und dies alles, obwohl sich nicht das leiseste Lüftchen regt. Als der Trudeser mit dem Kapitel zu Ende ist, steht da in lesbaren Worten, man müsse jetzt den ganzen Abschnitt rückwärts lesen. Der Trudeser tut's, und der Wald wird wieder ruhig.
Solche Zauberbüchlein sind im Allgäu gern eine Voraussetzung für eine sich anbahnende Verbindung mit dem Teufel. Er legt sie denen, die er gewinnen will, in den Weg, und wenn man auch zuerst dabei ein wenig Grausen empfindet, schließlich findet man doch Gefallen an solcher Zauberei. Mit der Zeit lernen diese Teufelsanwärter, wie sie ihren Meister mit Hilfe des Büchleins herbeirufen können, und dieser bringt sie zum Schluß dahin, daß sie einen Pakt mit ihm abschließen.
Von unserem Trudeser ist nicht gesagt, daß er mit dem Teufel paktiert hätte. Jedoch konnte er ihn mit seinem Zauberbüchlein jederzeit herbeizitieren, konnte ihm Aufgaben stellen und mit ihm reden. Der Böse hatte in solchen Fällen stets ein grünes Jägergewand an und kam auf Bocksfüßen daher.
Wer den ersten Abschnitt eines solchen Zauberbüchleins in einem geschlossenen Raum liest, der kann erleben, daß Teller und Kannen auf dem Schüsselrahmen zu tanzen anheben; aber sie kommen alsbald wieder zur Ruhe, wenn das Kapitel rückwärts gelesen wird.
Wer durch ein Zauberbüchlein zu des Teufels Kundschaft gekommen ist, der wird von ihm mit allem versorgt, was sich andere Menschen durch ihrer Hände Arbeit erringen müssen. In dunkler Nacht fährt der Teufel meist durch den Kamin ins Haus seines Klienten und bringt ihm Speise, Kleider und Geld.
Der Trudeser von der Ebnat war einer von denen, die lebten und leben ließen. Wenn ihm der Teufel Küche und Keller, Lade und Kasten gefüllt hatte, dann ließ er alle andern Leute mitgenießen, soviel sie wollten. Das ging, so lange er sein Geheimnis wahren konnte. Aber der gute Trudeser war ein „Bepperer” und mußte schwätzen. Und so war es bald bekannt, woher der Bauer auf der Ebnat all die guten Sachgen bekam.
Natürlich gab es ein paar Burschen, die unbedingt sehen wollten, wie das zuging. Sie legten sich des Nachts hinter des Trudesers Haus auf die Lauer. Als nun der Teufel in Gestalt eines Feuerdrachens kam und durch den Kamin des Hauses fuhr, stiegen die Burschen auf das Landerndach und schauten durch den Rauchfang, weil es geheißen hatte, daß der Teufel seine Gaben auf der Feuerstelle ablade. Aber da fuhr der Drache auch schon wieder heraus und verbreitete dabei eine so höllische Hitze, daß die Neugierigen hinterrücks vom Dach purzelten.
_Es war des Teufels letzte Besorgung beim Trudeser gewesen. Bald darauf kam ’s mit dem Bauern zum Sterben. Vor seinem Tod hat er noch den Pfarrer gebeten, das Teufelsbüchlein zu verbrennen und die Asche auf „sieben Wege” zu verstreuen. Das war nämlich nach altem Allgäuer Volksglauben die einzige Möglichkeit, um einen Unrechten Gegenstand ganz und gar zu vernichten und seinen Zauber zu tilgen. Erst als das geschehen war, konnte der Trudeser sterben._
Nach einer anderen Lesart sind am gleichen Tag auch die drei Burschen, die den Teufel gesehen hatten, begraben worden.
_Besonders interessant am Trudeser ist aber, daß es sich um eine historische Person handelt, und noch überraschender ist, daß er, als Reiser die Sage im Jahre 1895 veröffentlichte, gerade erst 28 Jahre lang tot war. Wenn wir aber bei Anton Köcheler lesen, daß der "„Drüdeslars Jock”:[Anton Köcheler, „Drüdeslar Jock von Birgsau - ein Original aus dem vorigen Jahrhundert im Stillachtal”,
in »Unser Oberstdorf«, Heft 6, 1984, S. 29], wie er genannt wurde, es verstand, „mit den kultischen Zeichen, Drudenfüßen und Trudenkreuzen zu hantieren”’, wird klar, daß er schon zu Lebzeiten eine Legende war._
So harmlos der Trudeser war, er wurde ja auch nicht vom Teufel geholt, umso schlimmer trieb es der „Katzebue zu Tiefenbach”, ein wahrlich schlimmer Vertreter seiner Zunft.
Der Katzebue verflucht Irrlichter
Ein arger Hexenmeister war der Katzebue von Tiefenbach bei Oberstdorf. Er war ein Räuber und Dieb, ein Zauberer und gefiirchteter Wettermacher, der jederzeit Regen und Sturm, Hagel und Blitz lenken konnte. Dazu bediente er sich aller irrlichtenden Geister in der Gegend, die er durch einen Zauberspruch in seinen Dienst gezwungen hatte. Ob sie nun wollten oder nicht, sie mußten ihm folgen, wenn er sagte:
„Liechtr vu de arme Seala, tüet an Blitz, an ganz an geala! Fruetig schlaht des Täte z’samm! Dem Tuifl Lob far seinen Bann!” |
Dann ritt der Katzebue auf einer grünen Haselnuß, die noch in der Hülse steckte, durch die Luft und hielt Nachschau, ob seine Lichtlein auch gehörig gezündet hätten. Aber er konnte das nur bei Nacht tun, denn das Tageslicht scheute er. Um aber seinem Körper wenigstens die Kraft des Tageslichts zuzufahren, aß er nur solche Dinge, die an der Sonne gereift waren; Erdäpfel und Rüben, die weder Sonne noch Mond bescheinen, mochte er nicht.
Fühlte er sich von der Obrigkeit bedroht und verfolgt, dann floh der Katzebue in die alte Freistatt, den Tiefenbacher Gottesacker, und die armen Irrlichter mußten dann jeden Verfolger von ihm ablenken. Die meisten Leute aus der Umgebung von Tiefenbach fürchteten den Hexenmeister dermaßen, daß sie ihm etwas zum Essen brachten und dies über die Kirchhofmauer schütteten, einen Korb Äpfel oder im Winter getrocknete Schnitz. Deswegen konnte der Katzebue so lange sein Unwesen treiben.
Einmal soll er im Winkel zu Tiefenbach in einer geschlossenen Stube gezeigt haben, wie man Hagelwetter machen kann. Die größten „Zöjen” (Hagelkörner) fielen, bis die erschrockenen Leute ihn baten, doch damit aufzuhören.
Eines Tages aber hatten ein paar Tiefenbacher das Glück, ein Lichtlein aus dem oberen Lochbachtal zu finden, das sich dem Bann des Hexers hatte entziehen können. Dieses Licht führte sie in einer Nacht auf seine Spur. Der verhaßte Bauern-Schinder hatte sich auf dem Heimweg vom Walsertal in eine Heuschinde verschaffen und war dort verschlafen. Bis zum Sonnenaufgang hielten die Männer den Katzebue fest. Dann war es aus mit seiner Macht, und alles Winseln und alle List halfen ihm nichts mehr.
Als er um ein paar Haselnüsse bat, weil doch gerade Nußzeit sei, gaben sie ihm wohl einige, zogen aber vorsorglich die „Sättele” ab. So konnte er sie nicht zum Hexen gebrauchen. Bald darauf ist der Katzebue im Bregenzer Wald hingerichtet worden. Er hat vor den herzugelaufenen Leuten bekannt, sein erster Diebstahl sei eine Nähnadel gewesen. Seine Mutter habe ihn dafür gelobt. Dann erzählte er auch alle seine übrigen Schandtaten auf ohne Scham und Reue. Schließlich erbot er sich jedem, der einen Gruß oder „B’rieht” an den Teufel aufzugeben habe; er werde alles pünktlich ausrichten. Zuletzt tat er noch eine furchtbaren Fluch auf die Lichterseelen, die ihm durch das Lichtlein aus dem Lochbachtal ausgekommen waren.
Um Tiefenbach, wo sich die Bauern freuten, daß sie diesen Peiniger los hatten, ist seit der Hinrichtung des Katzebue kein Irrlicht mehr gesehen worden. Sie waren mit dem Tode des Hexenmeisters erlöst’.
Obwohl er eigentlich so genau beschrieben wurde, ist mir keine historische Person bekannt, die man ihm zuordnen könnte. Hat es den Katzebue wirklich gegeben? Sicher vermischt sich hier eine Vielzahl von Gestalten, die vielleicht bis in die Keltenzeit zurückreichen, als es bei uns sicher noch keine Kartoffeln gab. Mir erscheint hier Willands Deutungsversuch ziemlich einleuchtend: „Der hier geschilderte Typ des Hexers ähnelt stark den druidischen Traditionen der Kelten.
Ein ganz besonders auffälliger Hinweis auf die Gestalt des Druiden ist die Erwähnung der Haselnuß, die im Bereich keltischer Medizin und Religion neben der Mistel eine ganz außerordentliche Rolle spielte. Das frühe Christentum erklärte die Druiden natürlich zu Hexern und Zauberern”. War er also ein keltischer Druide? Interessant finde ich auch die Stelle, wo sich der Katzebue vor der Obrigkeit auf den Tiefenbacher Friedhof rettete und dort von der Bevölkerung versorgt wurde. Schon zu den Zeiten der Bauernkriege im 16. Jahrhundert wäre er dort nicht mehr sicher gewesen.
Diese Stelle deutet also auch weiter zurück in die Vergangenheit. War er ein aufsässiger Bauer, der am Ende des Mittelalters in den Frondienst gezwungen wurde? Natürlich lassen sich seine Schandtaten, insbesondere das „Wettermachen”, in die Tradition der Hexensagen miteinbeziehen. Aber gerade der Aspekt des „Wettermachens” bringt ihn jedoch wieder weit hinein in die Neuzeit, denn Hexensagen mit dieser Thematik sind jüngeren Datums. Im Gegensatz zu den weiblichen Hexen, die in den Sagen nie namentlich erwähnt werden, ist er eine genau umrissene, bekannte Person. War er ein Tiefenbacher „Chonrad Stoeckhlin”?
Auch die Kartoffel, sie wurde in unserer Gegend laut Dr. Alfons Dürr schon 1720, also 50 Jahre früher als im restlichen Deutschland, eingeführt, deutet darauf hin. Hexen wurden bei uns ja noch bis 1775 hingerichtet. Die genaue Beschreibung seines schrecklichen Endes lenkt unser Augenmerk dagegen wieder auf eine historisch faßbare Person, denn bis auf ganz wenige Ausnahmen sind solche Sagen jünger zu nennen. War er also eine Art „Bayrischer Hiasl”, ein Räuber aus der Zeit der napoleonischen Kriege?
Sie sehen, der Zahl der Deutungsversuche ist hier schier kein Ende gesetzt, ein Problem, das auf das ganze Gebiet der Sagen zutrifft. Das macht aber auch den Reiz dieser Geschichten aus. Immer wieder gibt es etwas Neues zu entdecken, neue Aspekte tauchen auf und widerlegen ältere Ansätze. Jeder Leser kann für sich selbst interpretieren oder die Geschichten weiterspinnen.
Da Sagen früher ja „gesagt”, also erzählt wurden, wurden sie wiederum unter dem jeweiligen Blickwinkel des Vortragenden dargeboten, für ihn Unverständliches wurde weggelassen, neue Gedanken und Interpretationen hinzugefügt. Erst seit die Sagen im ausgehenden 19. Jahrhundert aufgeschrieben wurden, war dieser Prozeß gestoppt. Uns bleibt nur noch die Möglichkeit der Auslegung und somit der Versuch, das zu verstehen, was unsere Vorfahren dachten und glaubten. Hier gelangen wir wieder zum Teufel der Sage, einer Gestalt, die widersprüchlicher und auch faszinierender kaum sein kann und uns mehr über den Glauben unserer Vorfahren verrät, als dieser Artikel es aufzuzeigen vermag.
Fortsetzung folgt